Ein bunter Stapel eleganter Teetassen.

Ich habe zu viele Tassen im Schrank

Mir ist vor zwei Tage mein drittbester Pfefferstreuer heruntergefallen.

Dass ich einen solchen habe, wurde mir erst klar, als das kleine Porzellanding aus dem Schrank heraus auf den Kellerboden aufschlug und in sehr viele, sehr kleine Scherben zerbrach.

Mein erster Gedanke, als das gute Stück klirrend auf dem Boden aufschlug, war „Schade“ (gut, der allererste war „Scheiße, was war das?“). Aber direkt danach bedauerte ich den Verlust dieses drittbesten Pfefferstreuers. Denn für diesen speziellen Pfefferstreuer hatte ich in der ganzen Zeit, die ich ihn besaß, nie einen Einsatzanlass gefunden.

Für den Alltag war er aufgrund seiner hübschen Form einfach immer viel zu gut gewesen. (Dafür benutze ich gar keinen eigenen Streuer, sondern die Dose, in der der Supermarkt die Gewürze verkauft.) Für kleine Feste ging er nicht, denn da passte er nicht zum üblichen Festtagsgeschirr für diese Anlässe. Und für die ganz großen Feste war er nicht fein genug (Er war ja nur der drittbeste). Außerdem werden in unserer Familie viel zu selten Menschen gekrönt oder um die Ausrichtung von Staatsbanketten gebeten, weshalb ganz große Feste halt ganz selten sind. Selbst bei mittelfeierlichen Ereignissen kam der Pfefferstreuer nicht auf den Tisch. Erstens könnte der kaputtgehen, und er war immerhin der drittbeste. Und dann hätte das arme Ding anschließend über Jahre hinweg mit einem kläglichen Pfefferrest im Kellerschrank gestanden. (Wenn mir denn überhaupt vor dem entsprechenden Fest eingefallen wäre, dass es im Keller diesen speziellen Pfefferstreuer gab.)

Geschirrtechnisch bin ich auf alles vorbereitet

Ich besitze (genauer: besaß, weil einer ist ja kaputt) nicht nur einen viert-, einen dritt-, einen zweit- und einen allerbesten Pfefferstreuer (und sogar einige Salzstreuer mehr). Ich besitze generell Tassen, Teller, Untertassen und Suppenteller für jeden denkbaren Anlass (ich weiß allerdings nicht so genau, warum).

Zuerst einmal habe ich Geschirr für jeden Tag. Das steht in der Küche (meist nicht im Schrank, sondern auf der Arbeitsfläche, auf dem Tisch oder in der Spülmaschine). Dieser Kram ist praktisch rund um die Uhr im Einsatz, verträgt den heißen Spülgang, passt optisch zu allem (oder gar nichts, je nachdem wie hoch die Maßstäbe an einen simpel gedeckten Tisch sind) und ist das, was die Familie holt, wenn ich „Geschirr“ sage. (Was die Familie holen würde, wenn sie sich am Tischdecken beteiligen würde. Das trifft aber auf den Alltag nicht zu, weil da alle noch unterwegs sind, während ich koche.)

Dann habe ich noch das „gute Geschirr“. In mehreren Stufen. Zum Beispiel das so mittelgute für Sonntage oder einfache Feiertage. (Das könnte die Familie eindecken, tut sie aber nicht, weil sie nicht weiß, wo es steht). Das kommt daher deutlich seltener zum Einsatz, als so ein Sonntag in der Woche auftaucht. Immerhin könnte es beschädigt werden, und wovon essen wir dann an einem Sonntag? Eben, besser gleich im Schrank lassen. (Und sonntags das normale Geschirr verwenden.)

Dank einer Erbschaft gibt es zudem eine ziemliche Menge von dem „ganz guten Geschirr“. Teilweise mit dem Rest eines Goldrandes oder anderen Dekorationen. Das war schon für die lange verstorbenen Vorbesitzer(innen) für die profane Nutzung zu edel. Dieses Geschirr verbrachte etliche Jahrzehnte behütet und umsorgt in einem Wohnzimmerschrank. Zwischen Eichenverzierungen und Butzenscheiben genoss es den Blick auf die gute, alte Familienunterhaltungsshow am Samstagabend. Die Teller freuten sich, am nächsten Tag mit Bratensoße und Klößen gefüllt zu werden, aufgestellt auf Damastdecke oder gestärktem Leinen. Die Kaffeetassen standen stets neben liebevoll dekorierten Torten. Einem solchen Geschirr möchte ich meine eher unspektakuläre Nudel-, Reis- und Pizzaküche lieber nicht zumuten. (Stichwort: Artgerechte Haltung. Goldrandteller verpflichten einfach). Außerdem muss vor dem Aufdecken mit diesem Porzellan die aufwendige, sanfte Reinigung von Hand eingeplant werden. Wozu ich ausgerechnet bei Ereignissen, die nach dem „ganz guten Geschirr“ verlangen, einfach nie die Zeit habe.

Ich habe sogar einige Teller und ein umfangreiches Kaffeeservice für „besondere Anlässe“. Ich weiß nicht, welche das sein könnten (vielleicht schaut die Queen mal auf einen Tee vorbei?). Auf jeden Fall so besondere Ereignisse, dass diese Dinger bisher nicht ein einziges Mal auf meinem Tisch gestanden haben. Ich streichle sie nur hin wieder vorsichtig mit einem weichen Lappen und flüstere besser in ihrer Nähe. Ich bin überzeugt, sie stauben sogar eleganter ein als der Rest und könnten einen nicht unerheblichen Verlust bedeuten, sollte eine einzige Untertasse eine Katsche bekommen.

Es fehlt ein wenig an Anlässen

Zur Sammlung in Küche und Wohnzimmer kommen im Keller diverse Einzelstücke, ohne die ein gutes Essen nie präsentiert werden kann. Gleich mehrere Etageren, eine Suppenschüssel mit Deckel und dazu passende Servierplatten beispielsweise. Die zu absolut nichts sonst in meinem Besitz auch nur annähernd passen. Was wiederum gut passt, denn ich finde es unnötig aufwendig, Suppe in eine Schüssel mit Deckel zu füllen, die ich dafür auch noch aus dem Keller holen muss.

Sie stehen daher seit Jahren eng gedrängt neben diversen Kaffee- (oder Tee?)kannen hinter den kleinen Töpfchen für genau eine halbe Portion Marmelade und eben den Salz- und Pfefferstreuern. Bei den einzelnen Tassen, die „für alle Fälle“ nie weggeworfen wurden.

Ungefähr ein dreiviertel Service ist außerdem noch übrig aus meinem Studentinnenhaushalt und eine ähnliche Menge Teller gibt es von dem, was mein Mann mit in die Ehe brachte.

Sollte doch aus irgendwelchen Gründen jedes dieser Geschirre durch langjährigen Gebrauch kaputt sein, habe ich ja noch die zwei Sets auf dem Dachboden. Ein Ersatzgeschirr und ein Ersatzgeschirr für das Ersatzgeschirr. Das ist wirklich ein sehr, sehr billiges und sehr, sehr hässliches Geschirr für zwölf Personen. Ich habe es gekauft für größere Feste, bei denen leicht etwas zu Bruch geht. Allerdings passten zum Zeitpunkt der Anschaffung gar keine zwölf Leute in unsere noch kleine Wohnung. Und danach habe ich nie Menschen eingeladen, denen ich unbedingt hässliche Teller vorsetzen wollte. Behalten habe ich es trotzdem. Weil: Man weiß ja nie. Kann man ja mal brauchen. (Eine bewährte Ausmist-Taktik, die ich hier genauer erklärt habe.)

Es ist übrigens das einzige Geschirr, an dessen Anschaffung ich mich bewusst erinnern kann.

Der Rest scheint von alleine in Schränken, Vitrinen oder Kellern zu wachsen, wenn man einen tiefen und einen flachen Teller zu lange allein lässt.

Was nicht so schnell mehr wird wie Geschirr: Anlässe für Geschirr. Vermutlich braucht es einen ganz besonderen Tag für alle diese eigenartigen Porzellanobjekte. Etwas, das man nur einmal im Leben wirklich groß feiert.

Einen Polterabend zum Beispiel.

(Von allen diesen Überlegungen unbetroffen ist natürlich eine ganz andere Art von Geschirr: Das, das nur aus rein dekorativen Zwecken in einem Regal im Wohnzimmer steht. Ich weiß nicht einmal, ob es je zum Benutzen vorgesehen war. Heute würde ich es dafür nicht mehr verwenden können, es ist aus Sicherheitsgründen und zur Wahrung der perfekten Optik am Regal festgeklebt.)

Ein Mann und kein Auto – dahinter steckt Unrecht
Gut geplant statt nur gearbeitet

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