Feminismus – und warum man ihn noch immer braucht
Gedanken zum Weltfrauentag 2017
(weil jemand, der über Putzen und Erziehung schreibt, auch was zum Feminismus sagen kann)
Denn mal wieder ist Weltfrauentag.
Braucht kein Mensch – egal welchen Geschlechts… Wir leben im 21. Jahrhundert, im dritten Jahrtausend und in Westeuropa…
Dachte ich auch.
Und dann bekam ich Kinder und lernte, wo man überall auf wirklich antiquierte Vorstellungen trifft.
Laut Krankenkasse arbeiten Mütter nicht
Ein Beispiel? Nach der Geburt meiner zweiten Tochter gratulierte mir meine Krankenversicherung. Außerdem wünschte sie mir für mein weiteres Leben alles Gute. Denn mit dem Ende des Mutterschaftsgeldes würden sich unsere Wege trennen.
„Sollten wir von Ihnen bis zum Ende des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld […] keine Nachricht erhalten, werden wir davon ausgehen, dass Sie Ihre Tätigkeit bis auf Weiteres nicht wieder erwerbsmäßig aufnehmen.“
Und ich Dummerchen war doch tatsächlich davon ausgegangen, dass ich auch als Mutter weiterhin der arbeitenden Bevölkerung zugerechnet werden würde.
Zum Glück hatte mein Arbeitgeber mir nicht ebenfalls zur Geburt automatisch gekündigt.
Willkommen in Deutschland im Jahr 2009, wo Frauen Kanzlerin werden können, aber Mütter selbstverständlich ihren Job erst einmal an den Nagel hängen.
Dabei kann es so einfach sein….
Karriere und Kinder einfach verbinden
Die meisten Mitglieder von Aufsichtsräten, Geschäftsführungen und Managements bekommen doch Kinder und Karriere bestens unter einen Hut. Und sie sind nicht einmal auf gesetzliche Regelungen zur Kinderbetreuung angewiesen. Es reicht völlig, einen Penis zu haben.
Zu deutlich?
Es gibt genug Gesetze, vor denen sowieso Frauen und Männer gleich sind? Oder sogar zu viele Gesetze, die Frauen praktisch per Quote bevorzugen?
Es steht doch schon ganz vorne im Grundgesetz, dass Männer und Frauen gleich zu behandeln sind. Problem erledigt. Weitere Sonderregeln könnten daher entfallen.
Oder brauchen wir eine eigene Straßenverkehrsordnung für rote Autos?
Rein rechtlich kann ein Vater genauso gut – oder ebenso wenig zu Hause bleiben, wenn ein Kind krank wird. Elternzeit kann von beiden genommen werden. Auch zum Großteil vom Mann.
Ausgenommen von den Wochen vor und nach der Geburt, die tatsächlich biologisch begründet sind, gibt es keine logischen Argumente für eine klassische Rollenverteilung.
Wenn wir die Aussage: „Frauen können das halt besser“ einmal außen vor lassen (zumindest bis das Areal der Eierstöcke gefunden ist, in dem das Urwissen über Fensterreinigung und Kindererziehung abgespeichert sein soll).
Geschlechterbilder in den Köpfen
Und doch sind es immer noch die Bilder in den Köpfen, die von diesen Gesetzen völlig unbeeindruckt die Welt bestimmen.
Ein Aufsichtsrat? Ist Mitte 50, trägt einen grauen Anzug, hat etwas Bauch und eine Glatze.
Und wer arbeitet im Kindergarten? Natürlich einen freundliche junge Frau in Jeans.
Es gibt in jedem Krankenhaus erst einmal nur Ärzte und Krankenschwestern. Auch wenn man mit ein bisschen Nachdenken darauf kommt, dass es natürlich Ärztinnen und Pfleger geben muss.
Und für alle, die ein -Innen, _In oder /in an jeder Berufsbezeichnung haben wollen: Bekommt ihr.
Es steht automatisch dort, wo wir Frauen in unseren Klischees gerne hin packen. (Und hinter vorgehaltener Hand davon ausgehen, dass diese Jobs… nun weniger hohe akademisch-intellektuelle Ansprüche stellen, unabhängig von den realen Arbeitsbedingungen).
Am Gymnasium haben wir Lehrer. Aber nebenan die Grundschullehrerin.
Es gibt Kindergärtnerinnen, Putzfrauen und die Sprechstundenhilfe, und die freundliche Sekretärin. (Ein Mann im Büro ist immerhin Sachbearbeiter, Angestellter oder auf nette neuenglische Art Manager und hofft auf eine Beförderung. Ein Sekretär ist ein Schreibtisch mit Klappe.)
Im Jugendamt sitzt die vertrocknete Alte mit spitzer Nase und Hornbrille (Frauen und Kinder halt), während der schmale Typ mit dem Anzug sich um die Steuerhinterzieher kümmern darf (Zahlen sind bekanntlich für Männer gedacht).
Eine Verkäuferin zieht im Kittel Lebensmittel über ein Kassenband, ein Verkäufer trägt selbstverständlich einen Anzug und informiert die Kunden über technische Vorzüge von Autos, Fernsehern oder komplexen Aktienanteilen.
Nicht dass es nicht Tausende Gegenbeispiele geben würde. Aber die Rollenbesetzung im Kopfkino hat doch irgendein alter Macho vorgenommen.
Selbst dort, wo man versucht, Frauen in den Job zu helfen, wird aus gut gemeint nicht immer gut gemacht.
Kinderbetreuung in den Lebenslauf
Die Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur wollte sicherlich nur hilfreich sein, als sie mir empfahl, in den Lebenslauf (und zwar ganz vorne) zu schreiben, dass bei den leider vorhandenen Kindern die Betreuung auch außerhalb der üblichen Zeiten sichergestellt sei.
Ob mein Mann das auch reinschreiben müsse (sind ja schließlich auch seine Kinder)?
Nein, natürlich nicht.
Deutschland, im Herbst 2016
Wir kommen wahrscheinlich aus der Nummer auch nicht raus. In dem Kinofilm „Star Trek – Into Darkness“ versammeln sich im Jahr 2262 hochrangige Offiziere der Sternenflotte zu einer Besprechung. Der Erfolg der Feministinnen: eine Frauenquote von fast 30 Prozent…
Die Filmemacher im Jahr 2013 konnten sich also nicht vorstellen, dass in den kommenden 150 Jahren eine Runde aus Entscheidungsträgern paritätisch besetz sein könnte. (Immerhin, die Alienquote ist in diesem Jahrtausend auch ausbaubar).
Was helfen kann
Um diese Bilder zu löschen, wird es Zeit brauchen. Und vielleicht die so gehasste Frauenquote. Zumindest bis auch der letzte Mensch verschwunden ist, der sich noch an Vorstände als reine Männerrunden erinnern kann.
Eine Quote hilft den Frauen heute wenig, weil man ihnen stets mangelnde Qualifikation vorwerfen wird. Aber vielleicht unseren Ur-ur-ur-ur-Enkelinnen bei der Sternenflotte.
Alternativ:
Nachdenken.
Im Kopfkino einfach mal bewusst die Rollen neu verteilen. Sich darüber klarwerden, warum einen ein Kindergärtner so überrascht. Und warum frau sich bei einem Geburtshelfer weniger geborgen fühlen sollte als bei einer Frau, die vielleicht auch noch nie ein Kind bekommen hat.
Sich an die eigene Nase fassen: In der Mütter-Kaffee-Runde jedes Mal einen Schnaps trinken, wenn sich die Gespräche wieder nur um Mode, Erziehung und Putzen drehen…
… und den Weltfrauentag daher sturzbesoffen feiern.
Nur um zumindest alle zwölf Monate daran zu denken.