Modische Winterspiele
Keine warmen Sachen für Mädchen?
Jede Mutter, die ihrem Kind irgendetwas anziehen will, muss sich der Tatsache stellen: Es gibt Jungen- und Mädchenkleidung. Ob das richtig oder falsch ist, darf – und sollte – dringend einmal diskutiert werden. Allerdings nicht mit den Herstellenden oder Verkaufenden dieser Waren. Denn die finden es einfach sehr praktisch, ihre Geschäfte pro Alterklasse in zwei Bereiche zu teilen. Vielleicht damit sie hin und wieder von dem schrill-pinken Glitzerland zu den olivgrünen Monstern gucken können, um ihre Augen zu erholen.
Es ist einem Kind allerdings auch nicht zuzumuten ist, wegen der Überzeugungen der Eltern nackt zu gehen. Und nach einer kurzen Diskussion meinte mein Konto, wenn so ein Kind mehr als eine Hose und ein Oberteil pro Saison benötigt, kommen etliche, oft geschlechterneutralere Marken leidern nicht infrage. Und so kapituliert man eines Tages und aktzeptiert die Blau-Rosa-Trennung, die eher eine Olivgrün-Pink-Trennung ist.
Warum kann nicht immer Sommer sein?
Denn die beschränkte Farbwahl ist gar nicht das, was mich am geschlechtergetrennten Kindermodebereich am meisten ärgert.
Oder was mich zwingt, jedes Jahr den Frühling herbeizusehen…
Denn neben der Pink-Invasion in den Kleiderschränken vergessen die Kritiker oft, dass mit Mädchenmode auch andere Klischees am Leben gehalten werden.
Wie: Frauen haben immer kalte Füße. Sie frieren überhaupt sehr viel häufiger als ihre männlichen Gegenstücke.
Generationen von Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Disziplinen haben sich dazu ihre Gedanken gemacht, die Menge der Muskeln mit dem Gesamtkörpervolumen, der Durchblutung und sicherlich auch mit der astrologischen Ausrichtung verglichen.
Dabei hängt eine einfache Antwort unter dem euphorischen Titel „Winterkollektion“ ab Mitte August in jedem besseren Bekleidungsfachhandel. Es fällt nur nicht auf. Denn diese Hemdchen, Höschen und Blüschen erkennt man auf den ersten Blick nicht als Garderobe für die kalte Jahreszeit.
Für Mädchen gibt es nur Sommer.
Ich spiele an besonders langweiligen Tagen gerne ein Einkaufsspiel. Es funktioniert umso besser, je günstiger die angebotene Ware ist. (Faustregel: Je besser sich Mädchen- und Jungensachen schon aus der Ferne unterscheiden lassen, desto weniger kosten sie.)
Dann gehe ich in die Abteilung Kinderkleidung, dahin, wo zwischen schreiendem Pink und dezentem Rosa Eiskönigin Elsa auf zartem Blau lächelt, und suche mir eine Verkäuferin.
Die findet man anders als Baumarktmitarbeiter sehr schnell. In ihrem dunklen, sehr modernen und sehr gebügelten Outfit sticht sie aus der Menge der zerknautschten, jeans-robusten Mütter schließlich hervor.
Ich greife gar nicht erst zu einem Objekt, sondern stelle nur eine Frage:
„Gibt es auch warme Winterpullover für Mädchen?“
Kompetente Beratung – oder was manche darunter verstehen
Und dann genieße ich das recht faszinierende Schauspiel der sich wandelnden Gesichtsausdrücke.
Es beginnt immer mit ungläubig.
Die Fachfrau zweifelt ob dieser dämlichen Frage an meinem Verstand.
Dann schaltete sie um auf „kompetente Beratung“.
Sie greift, oft bewundernswert zielsicher, neben sich und zieht ein Objekt heraus, dessen Ärmel zwar gerade noch die Ellenbogen meiner Tochter verhüllen würden, aber durch dessen Material sich nicht nur die großen Bild-Überschriften problemlos lesen ließen.
„Das hier tragen die Mädchen gerade sehr gern“, oder sehr ähnlich fällt der Kommentar zum Angebot aus, während draußen Schneematsch und Eisglätte den Verkehr lahmlegen.
Beim ersten Mal, als ich meine Frage wirklich in Unkenntnis der Kindermode stellte (oh, ist das viele Jahre her), war ich an diesem Punkt noch verwirrt. Ich befragte meinen Kalender, überlegte, wie lange die arme Angestellte schon in dieser fensterlosen Kaufhausetage festsitzen möge, dass sie das Ende des Sommers nicht registrieren konnte.
Unterdessen leite ich einfach die nächste Runde ein.
Mit unbeweglicher Mine nehme ich den Pullover, prüfe ihn (und notiere schon mal zwei Punkte, wenn er keine Prinzessin des Disney-Universums zeigt) und dann hänge ich ihn zurück und wiederhole meine Frage:
„Haben Sie warme Winterpullover für Mädchen?“
„Das ist doch ein Winterpullover.“ Ja, die meisten Verkäuferinnen (ich verspreche demjenigen einen Cappuccino, der in einer solchen Modeabteilung einen angestellten Mann findet, der diesen dummen Spruch ebenfalls ablässt) versuchen diesen Worten die Realität oder die Außentemperatur zu verändern.
„Aber der Pullover ist nicht warm”, weise ich dann auf das (für mich) Offensichtliche hin.
„Die sind ja nun fast alle so“, begründet mein Gegenüber die eigenartige Wahl für Wintergarderobe.
Was meiner Tochter sicherlich nicht helfen würde, wenn sie in diesem Ding morgens zur Schule gehen müsste.
Und ab da lässt man den Dialog sich ein paar Mal im Kreis drehen. Ich wiederhole die Aufforderung, ein der Jahreszeit angemessenes Kleidungsstück zu holen. Die Angestellte wiederholt die Behauptung, leichte Flatterhemdchen seinen für den Winter bestens geeignet. Vielleicht sollte ich einmal für ein Projekt zur Weiterbildung weltfremder Modedesigner spenden.
Denn wie die Verkäuferin richtig bemerkte, alle Wintersachen in der Mädchenabteilung sehen so aus. Was nur bedeutet: Sie müssen diesen pinken, luftigen Fetzen kaufen, wenn ihr Kind irgendetwas anziehen soll und ihr Einkommen gerade elternzeitbedingt etwas geringer ausfällt als geplant.
Es sei denn, man greift zu einem der zwei echten Wollpullover, gestrickt aus sehr viel Schnur, für deren Herstellung dem Gefühl nach ein halbes Feld Brennnesseln verwendet wurde. Sie sind warm. Und zwar warm genug für eine Polarexpedition.
Allerdings haben sie zur Sicherheit gerne mal kurze Ärmel.
Und man sieht sie leider nach dem ersten Schultag nie wieder, weil sie zu sehr schaurigen Unfällen mit Klebstoff, Schere und Farbe neigen.
Letzte Rettung Jungenabteilung
Der Vater meiner Kinder hatte einmal die gar nicht so dumme Idee, einfach in der Jungenabteilung einen Pullover zu kaufen.
Leider waren die Marketingstrategen dieser Junge-Mädchen-blau-rosa-Welten ihm um Jahre voraus.
Meine Kinder brachten beide fast als Erstes aus dem Kindergarten die Erkenntnis mit: „Graue und braune Sachen darf ich nicht anziehen. Das ist eine Jungenfarbe.“
Selbst wenn das die einzige Alternative zu „Mir ist soooo kalt“ ist.
Und was macht man dann als Mädchenmutter im Winter?
Modestrategien für den Winter
Modell vergiss es: Man meldet dazu einfach das Kind in der Schule krank. Von etwa Anfang Oktober bis Mitte März. Das ist für die Bildung eher suboptimal, aber dafür kann man in der Zwischenzeit die komplette Einhorn-Pink-Welt auf sie einwirken lassen. Mit etwas Glück erwartet das Kind danach ohnehin einen Prinzen und ein Schloss vom Leben, und dazu muss man gar nicht auf die Uni.
Modell Zwiebel: Einfach sehr, sehr viele der dünnen Hemdchen kaufen und in sehr, sehr vielen Schichten anziehen. Wenn die Arme sich durch die Stoffberge nicht mehr ganz senken lassen, sollte es warm genug sein. Mädchen spielen ja eh eher ruhig, da muss sich das Kind auch nicht bewegen können.
Modell Oma Hilf: Wer eine Großmutter, Großtante oder sonst wie begabte Verwandte hat (bei echten Alt-68ern kann man auch mal bei den Männern rumfragen), bittet diese um selbstgestrickte Pullover. Allerdings sollte man die heutigen überaus stressigen Terminpläne von Senioren, besonders Rentnern berücksichtigen und die Kleidung für Kindergartenkinder spätestens dann bestellen, wenn der erste Ultraschall ein weibliches Geschlecht des Babys vermuten lässt.
Modell Klimawandel: Vergesst die kalte Welt dort draußen. Die kleine Prinzessin in ihrem Spitzenkleidchen hat dort eh nichts verloren. Heizt die Wohnung (dann braucht man selbst auch keine Wintergarderobe mehr) und legt jede noch so kurze Strecke im Auto zurück. So tut man auch etwas für kommende Mädchengenerationen, die dank des Klimawandels Kälte im Winter nie erfahren müssen.
Alle anderen warten auf den Frühling und freuen sich, dass diese Jahreszeit dann genau die richtige für zarte Röcke und Pastellfarben ist.
Und dass zumindest die Witze über kalte Frauenfüße nie aus der Mode kommen werden.