Einmal in eigener Sache…
Liebe Leser,
für alle, die schon gefragt haben, wann es endlich weitergeht: Ich war etwas abgelenkt, denn mein erstes E-Book ist fertig. Hier ein kleiner, exklusiver Auszug aus dem Projekt, das mich in den letzten Wochen und Monaten so sehr beschäftigt hat – als Schmanckerl bis zum nächsten Bodenansichten-Text.
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„Das Leuchten der Luft“ von Juliane Hornstein
Stia kauerte im Halbdunkeln der Meditationsgrotte und hatte Angst.
Hier, an diesem Ort der Kraft, wie es ihre Tanten nannten, konnte sie deutlich spüren, wie das Leben aus ihr herausfloss. Sie fühlte sich wie eine Badewanne ohne Stöpsel. Und sie musste dringend jemanden finden, der sie wieder auffüllte, bevor…
Bevor was auch immer passieren würde, wenn der letzte Rest ihrer warmen Lebensenergie verschwunden war.
Stia hatte keine Ahnung, ob es für ihr Anliegen ein passendes Ritual gab. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war das ganze mehr Verzweiflung als alles andere. Denn sonst hätten Angret und Laura sie ja begleitet. Oder sie hatte genau das mit ihren eigenartigen Nicht-Lektionen gemeint. Wenn es ernst wurde, kam es auf die Instinkte an.
Ha ha.
Sie würde allein wissen müssen, was zu tun war. Tolle Aussage.
Obwohl ihre Hände zitterten und ihr Herzschlag ungesund raste, begann sie in sich hinein zu lauschen. Ein nur mäßig interessierte Stimme ihres Geistes wies sie darauf hin, dass Jared es nicht wirklich gutheißen konnte, dass sie mit diesem dämliche Humbug gegen ein ernstes Problem vorgehen wollte. Und was sie sich eigentlich dabei dachte. Das war doch mehr Verzweiflung als Vernunft. Es hatte bisher genau zweimal irgendeine Wirkung gehabt.
Stia schob sie beiseite. Sie musste sich konzentrieren. Eine Antwort in sich selbst finden. Kraft finden…
Wer würde ihr Kraft geben? Sie konnte nur einen Strom fühlen, und der war viel zu schnell und aus ihr heraus.
Ihre Angst war einfach zu groß. Und sie brauchte so dringend Hilfe. Stia rollte sich auf die Knie, was ihr verletztes Bein mit einem reißenden Schmerz bestrafte, der wenig andere Gedanken überhaupt bis ins Bewusstsein durchlies. Stia versuchte es trotzdem.
Ein Ritual, ein Zauber,… eine Turnübung, wenn es sein musste. Egal was auch immer aus ihr herauskommen wollte. Sie würde darauf hören. Becher und Blumentopf standen noch immer in ihrem kleinen Regal neben der Treppe. Sie war zu schwach, um sie zu holen, aber vielleicht reichte ja die bloße Anwesenheit.
„Im Namen der festen Erde unter mir,“ begann sie mit ihrem Schutzelement
„und im Namen meines Schutzsternes Saturn“ ein Hauch fuhr über ihre Haut… und es fühlte sich ein bisschen richtig an.
„bei den strahlend funkelnden Sternen“ eine dumme Idee, dachte sie mit Blick auf die dunklen Wolken am Himmel, hinter denen die Sonne noch gar nicht untergegangen war, aber in ihrem Geist sah sie einen Kranz aus Himmelslichtern ganz deutlich um sich herum. Ein wenig Wärme ging von ihnen aus. Vielleicht waren sie Himmelsfeuer. Oder ihr Gehirn verlor dank des Giftes langsam seine Funktion.
In diesem Moment krachte der Donner über ihrem Kopf und Stia folgte ihren Gefühlen.
„und im Namen dieses dämlichen Gewitters.“
Sie bat mit aller Kraft, jedem Muskel, schrie ihre Bitte gegen den nun trommelnden Regen.
Sie streckte ihren Geist aus als wäre es ein weiterer Arm. Strich mit ihm über den Boden, der sich einfach nur kalt und trocken anfühlte. Sie versuchte den Windhauch, der durch winzige Felsritzen kommen musste, in sich aufzunehmen, spürte die leichte Wärme der immer brennenden Kerzen auf dem Gesicht. Sie ließ ihre Gefühle einfach laufen, und die Angst stieg in ihr auf kalt wie Eiswasser. Der warme Wind drückte gegen sie auf jeden Zentimeter ihrer Haut zugleich, als würde die Welt enger.
Sie wollte weiterleben, dass spürte sie ganz deutlich.
„Ihr Schutzmächte“, Schreien und Schluchzen ließen die Worte undeutlich werden, „bitte lasst mich nicht sterben.“
Die Tränen nahmen ihr die Sicht. Der sanfte warme Druck durchbrach ihre Haut. Ein schwacher Schimmer, den sie mit jeder Zelle ihres Körpers zu sehen schien, breitete sich aus und brachte Trost. Dann verblasste er langsam. Der Druck um sie herum verschwand. Die Luft bewegte sich nicht mehr und sogar das Gewitter schien weiter weg zu sein. Der Boden unter ihr war einfach nur massiv und finster.
Was auch immer geschehen war, war vorbei.
Jared war nicht gut im Warten. Vor allem nicht in diesem Zimmer. Irgendwo in den Zeiten des schlechten Geschmacks hatte man es wohl konserviert. Alles, das nicht von Anfang an Pastellfarben gewesen war, hatte durch Alter und Sonnenlicht einen Grauschleier bekommen. Es gab einfach nichts, auf das er sich länger konzentrieren konnte.
Letztendlich starrte er die Kellertür an, während irgendwo eine vermutlich ebenfalls blasse Uhr mal wieder Sekunde um Sekunde verticken ließ. Der Regen, den Jared unterdessen beinahe überhörte, schwoll wieder an. Dann grollte ein langgezogenes Donnern über das Haus. Und dann wurde es noch stiller.
„ Hat es funktioniert?“ unterbrach er besorgt das Schweigen.
Laura kramte im Wollkorb und warf eine Handvoll Fädchen ins Kaminfeuer. Ein sehr kurzer Abschnitt segelte unangetastet durch die Flammen und landete auf ihrer ausgestreckten Hand.
Angret seufzte. „Leider nicht.“
Stia würde also sterben.
Jared hatte immer gedacht, dass eine solche Nachricht einen wie ein Schlag vor den Kopf treffen würde. Aber es war ganz anders. Mehr, als würde man im Zeitraffer eine Grippe kriegen. Es stieg ganz sanft in ihm auf. Als müssten die Nervenfasern erst einmal lernen, eine solche Botschaft überhaupt weiterzureichen. Einzelne Teile seines Körpers bekamen die Nachricht wohl vor dem Gehirn, denn seine Beine standen praktisch von alleine auf.
Während sein Mund versuchte, die Realität mit stammelnden Verneinungen zu ändern, wollten seine Hände etwas festhalten, zuckten aber eher unkoordiniert um ihn herum. Als sein Verstand immer noch nach dem Sinn in dieser unerträglichen Auskunft suchte, zeigten seine Augen ihm schon die Treppe.
Und nach den ersten Stufen rutschten seine Einzelteile langsam an die richtige Position zurück. Er rannte schließlich in die Höhle und fiel neben Stia auf die Knie.
Einen Moment lang dachte er, dass schon alles zu spät sei. Aber als er die schlaffe Gestalt aus den Kissen in seine Arme riss, spürte er ihren Herzschlag.
Er tauchte sein Gesicht in den Duft ihrer Haare und blinzelte ein paar Tränen weg. Verdammt, er kannte sie kaum. Er musste sich doch wohl zusammenreißen können.
Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, dass die Schwerstern ihm gefolgt waren.
„Warum hat es nicht funktioniert?“
Laura zuckte traurig mit den Schultern.
„Es kommt auf die richtigen Kräfte an, auf ihre Stärke, auf die Zeit…“, murmelte Angret mehr zu sich selbst.
Jared wandte sich ab. Das war ja klar gewesen, dass diese Heckenhexen nicht helfen würden. Dieser ganze Quatsch hätte von Anfang an verhindert werden müssen. Er hätte Stia in der Klinik lassen müssen.
Sanft strich er ihr über die Haare. Ihre Stirn war schweißnass, aber immerhin nicht mehr so kalt. Dafür zeigte sich an ihren nackten Beinen eine Gänsehaut. Jared versuchte, sie noch näher an sich heran zu ziehen.
Draußen brauste der Wind wieder auf. Er rüttelte am Dachfenster, als wollte er hereingelassen werden. Jared strich Stia weiter über das Gesicht, aber sie reagierte nicht. Was sie auch getan hatte, es hatte sie ihre letzte Kraft gekostet. Er hatte mit seiner bescheuerten Idee ihre wenigen letzten Stunden also auch noch verkürzt.
„Bist du zufällig ein Cooper?“
Jared brauchte eine Weile, bis Angrets Stimme zu ihm vordrang. Na toll, die hatten Nerven in so einer Situation.
„Mein Name ist Jared Cooper. Wieso?“
„Deine Familie hat mal hier gewohnt?“
„Ähh… mein Vater ist in Crestol aufgewachsen oder so was.“
Stia fühlte sich noch immer gut an in seinen Armen. Aber die hässliche Wunde breitete ihre grauen Ranken beinahe sichtbar immer weiter aus.
„Hast du eigentlich mit Stia geschlafen?“ Angrets Frage kam völlig ruhig daher. Es war etwas weniger peinlich, weil ihr Blick an der Glaskuppel über ihr hing, über die hin und wieder vom Sturm abgerissene Äste rauschten.
Jared starrte nun immerhin zu den alten Schachteln. Er verstand den Sinn dieses Frage und Antwortspiels nicht. Aber die kleine Dicke schien eine Idee zu haben. Ihre Augen hingen an den Lippen ihrer Schwester, die den finsteren Himmel mit ihrem Blick zu durchbohren schien, und Jared meinte, einen Hauch Hoffnung bei ihr zu sehen.
In dem Moment stöhnte Stia. Aber sie wachte nicht auf, so genau Jared auch auf ihre Augenlider blickte.
„Hast du mit Stia geschlafen?“, drängte Angret.
Er spürte einen Hauch verletzte Privatspähre.
Als würde das jetzt noch einen Unterschied machen.
„Ja“ murmelte Jared. Er drehte sich nicht einmal um. Das war doch so egal, wenn ohnehin alles in wenigen Stunden, vielleicht sogar nur Minuten vorbei sein würde.
„Wann war das?“
Jetzt ging die alte Schachtel allerdings zu weit.
„Gestern“, schnauzte Jared nun doch in ihre Richtung gewandt.
Was auch immer er erwartet hatte, das war es nicht. Angret schien angestrengt nachzudenken. Sie kaute auf ihrer Unterlippe und blickte über Jared hinweg in den Himmel.
Ihre Schwester dagegen sah aus wie ein Kind kurz vor der Bescherung. Ihre weit aufgerissenen Augen klebten an Angret, nervös schlossen und öffneten sich ihre Hände, sie wippte sogar leicht auf den Füßen. Die kleine Frau schien vor Anspannung fast zu platzen.
„Meinst du, es ist möglich?“
Angret bewegte den Kopf nicht. „Es käme auf einen Versuch an.“ Ihre Gedanken waren wohl immer noch sehr weit weg.
Dann riss sie sich sichtbar zusammen und ging die letzten Stufen hinunter, dicht gefolgt von Laura.
Einen Moment lang suchte sie nach einem Anfang.
„Weißt du, was Anastasia hier versucht hat?“
„Was auch immer, es hat nicht gewirkt.“ Man, konnten die nerven in einem solchen Moment.
„Sie hat ihre ganz persönlichen Schutzmächte um Hilfe gebeten. Ihr Geburtselement, die Erde.“
„Ach so. Aber Wunderheilungen sind heute wohl aus.“
„Die Elemente können vor allem Kraft geben“, sprudelte Laura. „Du hast doch selber gesagt, wir brauchen nur ein paar Stunden. Je begabter man ist, desto mehr Kraft kann man… nutzen. Und es hängt natürlich vom Element ab. Stia hat versucht, also sie wollte, also… vielleicht war es nicht das richtige…“
Die kleine Laura sprach so schnell, dass ihre Zunge über die Worte stolperte.
„Sie wollte ihre, nun Lebensenergie könnte man sagen, aufladen. Kraft genug, bis das Gegengift in der Stadt ist“, unterbrach Angret ihre wirre Schwester erschreckend ruhig, „Aber Anastasias Fähigkeiten war nicht stark genug in diesem Fall.“
„Und nun wird sie einfach sterben? Weil der ganze Hokuspokus gerade nur mit halber Kraft arbeitet?“
Angret schaute Jared tief in die Augen. Es war kein abschätzender Blick. Mehr eine unausgesprochene Frage. Lauras Kopf drehte wie bei einem Tennisduell zwischen den beiden. Dann seufzte Angret noch einmal.
„Wir könnten versuchen, woanders um Hilfe zu bitten. Ein anderes, hoffentlich stärkeres Element – Eines, über das wir aber leider nicht verfügen…“
Wieder stach ihr Blick in Jareds Augen, vielleicht sogar noch viel tiefer.
„Luft besiegelt den Zauber“, murmelte sie ohne einen für Jared erkennbaren Zusammenhang.
Und dann wusste er, worauf sie hinaus wollte.
Nein, er hatte es schon immer gewusst. So klar und sicher wie seinen eigenen Namen. Es war… in der Luft, die er atmete. Rann in seine Muskeln. Eine Sicherheit? Etwas das er vergessen hatte? Der erste Anflug eines Schocks nach diesem Tag?
„Ich muss es tun“, flüsterte er.