Mein Weihnachtszaubertrick
Fast geschafft.
Das weiß ich, als ich die Reservekühltruhe auf die einzig professionelle Weise abtaue. Und während ich so mit einem zufällig gewählten Küchenutensil auf das Eis einhacke wie ein Massenmörder im Blutrausch, denke ich über die nun einziehende Weihnachtsidylle nach.
Nur noch ein Mal schlafen, dann gehört das Leben für drei Tage dem Glitzern, dem Frieden, der Besinnlichkeit und der Ruhe.
Vorher habe ich nicht mehr viel zu tun. Die erste Truhe ist ja schon abgetaut. Die Vorhänge aus dem Flur kreisen gerade in der Waschmaschine, die Fußleisten blinken, das Treppengeländer glänzt, ein zarter Duft nach frischen Plätzchen durchzieht mein Heim, über das ein sanfter Künstler einen Weichzeichner gelegt hat.
War auch ganz einfach.
Ich hab nämlich einen Weihnachtszauberstab.
Immer wenn die angeblich so stressigen Tage nahen, steige ich auf den Dachboden und hole das wunderbare Utensil aus seiner rot-grünen Schachtel.
Und dann ist alles ganz einfach.
Zuerst einmal verlängert er für mich den Advent.
Ein kleiner Schwung über den Kalender, und zwischen dem 1. und dem 24. Dezember ist endlich genug Platz für eine Weihnachtsfeier auf meiner Arbeit, eine Feier auf der Arbeit meines Mannes, einen Adventsnachmittag in der Grundschule, einen Adventskaffee im Kindergarten, eine Feierstunde beim Sportverein, ein gemütliches Beisammensein im Kegelclub und natürlich, um alle Verwandten zu besuchen.
Mein Zauberstab hält mir die Innenstädte ruhig und leer. Egal wo ich einkaufe, stets erwartet mich eine freundliche Dame mit genau zu meinen Wünschen passenden Vorschlägen. Jeder kleine Weihnachtstraum meiner Kinder ist vorrätig, direkt vorne im Regal platziert und gerade im Angebot in einem leicht erreichbaren Geschäft mit großzügigen Kundenparkplätzen.
Außerdem hat mein Chef auch ein Herz für Weihnachten, darum werden hektische Projekte auf das nächste Jahr großzügig vorgeplant. So darf ich täglich pünktlich gehen, um zwischen bunten Buden voller Kunstwerken einen hochwertigen, optimal gewürzten, perfekt temperierten Glühwein zu genießen. Von dem ich nie Kopfschmerzen bekomme.
Dank meines Zauberstabes sind auch die Lebensmittelkäufe vor dem Fest eine freudige Erfahrung. Er wird dafür sorgen, dass exotisches Gemüse, weit gereistes Obst und Fleisch sonst nie gekosteter Tiere sich lange halten, nur damit ich nicht zu den armen Gestalten gehören muss, die noch am 23. Dezember stundenlang an der Frischetheke stehen.
Mit einer Berührung verwandelt der Zauberstab die verkohlten Skelettreste eines Truthahns in ein Weihnachtsmenü, schmeckt den Rotkohl ab und lässt kleine, knubbelige Kartoffmassebälle zu goldgelben, ebenmäßigen Klößen werden. Er hilft sogar gegen diverse Allergien, Intoleranzen und Magichnichts, die angeblich bei anderen die Zusammenstellung des Festtagsmenüs unnötig erschweren.
Per Augenmaß am Zauberstab ausgerichtet steht jeder krumme Baum gerade, fehlende Äste wachsen nach, Kugeln verteilen sich mit mathematischer Genauigkeit zwischen Lichtern, bei denen nie ein Birnchen durchgebrannt ist. Die Steckdose hüpft von allein an die optimale Postion im dank Weihnachtszauber ausreichend großem Wohnzimmer.
Und bei der Bescherung haben sich alle lieb, weil in keinem Päckchen etwas drin ist, das weder in Form noch in Farbe oder Größe zu dem Empfänger passt.
So einfach ist Weihnachten mit meinem Zauberstab.
Er ist übrigens golden mit Glitzer und darauf steht:
Scheiß drauf, es ist auch mein Fest.
Und damit wünsche ich allen entspannte Feiertage.
Wer keinen Zauberstab zur Hand hat, denkt einfach daran, …
Wenn man 364 Tage in einem Haus gut leben kann, spricht nichts dagegen, dass es am 24.12 ebenfalls sauber genug ist.
Spagetti mit Ketchup, Pommes ohne alles und Pudding sind auch ein Weihnachtsessen, vor allem, wenn die Kids gar keine Gans mögen.
Wer keine Spielsachen rund um den Baum herumfliegen haben möchte, schenkt besser kratzende Strickjacken, Tischwäsche oder Socken. Die verschwinden garantiert nach Sekunden spurlos.
Menschen, die Stress und Spannungen verbreiten, müssen laut Fernsehen ständig die Welt retten. Darum haben sie eh keine Zeit und man braucht sie gar nicht erst einzuladen.
Menschen, die uns lieben, wünschen uns ein besinnliches Fest, keinen arbeitsreichen Putzen-Waschen-Kochen-Dreikampf
… und sie mögen uns. Nicht unsere neue, fleckenfreie Bluse.
Einzig das Abtauen der Kühltruhe mache ich von Hand und kann ich in diesen Tagen wirklich empfehlen. Wenn man die abgeschlagenen Eisbrocken in den Vorgarten wirft, hat man nämlich für kurze Zeit ein kleines Stück weiße Weihnachten.
Simone
18. Januar 2017 - 12:14
Ich liebe deine Post, Juliane!!!